60 Millionen fürs Klinikum

Rede von Martina Selzer im Kreistag am 04.10.22

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Grüne Kreistagsfraktion steht voll hinter der Umstrukturierung und dem Klinik-Neubau.

Uns ist bewusst, dass der Umbauprozess, sowohl was das Gebäude als auch die Konzernstrukturen angeht, eine der komplexesten Aufgaben ist, die dieser Landkreis bisher zu stemmen hatte. Und eine der teuersten. Mehrere äußere Umstände haben Einfluss auf das Ergebnis des Prozesses, auf die wir wiederum selbst keinen Einfluss haben oder bestenfalls reagieren können.

  • Zum einen sind es die allgemeine Inflation und speziell die steigenden Energiepreise. Damit wird die Kalkulation, auf der die Förderzuschüsse beruhen, im Prinzip schon wieder zunichtemacht. Der Neubau enthält sehr viele energetisch gute Ansätze, das Planungsteam scheint großes Interesse an einer energetisch fortschrittlichen Lösung zu haben. Bis das Gebäude steht und z. B. der eigene Solarstrom vom Dach genutzt werden kann, ist es aber noch eine Weile hin. Diese Zeit muss irgendwie überbrückt werden. Schon jetzt ist absehbar, dass hier Geld fehlen wird.
  • Weiterhin ist die anhaltende und sich verschärfende Personalknappheit zu nennen. Der Begriff Fachkräftemangel trifft es schon längst nicht mehr, denn es ist nicht mit Qualifizierung getan, sondern es fehlt schlicht an Menschen, die die Arbeit noch machen können, bedingt durch die Tatsache, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den nächsten zehn Jahren alle in Rente gehen und die folgenden Jahrgänge teilweise nur noch halb so stark sind.

Trotzdem sehen wir den eingeschlagenen Weg als richtig an. Unser Landkreis braucht eine gute gesundheitliche Versorgung, und insbesondere Kliniken gehören in kommunale Hände. Viele der heute bestehenden Probleme sind ja erst entstanden durch die fatale Privatisierung des Gesundheitssystems, durch die Vorstellung eines Gesundheits-„Marktes“, auf dem sich alles quasi von selbst regelt.

Wir sehen einerseits die Notwendigkeit, Kliniken zusammenzulegen, um Abläufe effizienter zu machen. Und effizient heißt auch: Für die Beschäftigten besser zu bewältigen. Bei sinkenden Beschäftigtenzahlen muss sich das Verhältnis zwischen Beschäftigten und der zu leistenden Arbeit zugunsten des Personals verbessern. Dies wird zum einen durch den Abbau von 160 Betten angestrebt, zum anderen durch die im neuen Gebäudekomplex wesentlich optimierten Prozesse (viele Laufwege entfallen, Abläufe werden gebündelt bzw. flexibilisiert). Ganz davon abgesehen ist es eben auch für die medizinische Qualität von Bedeutung, wie viele Eingriffe einer bestimmten Art ein Team jährlich erledigt, von Geburten über Blinddarmentfernungen bis hin zu komplizierten Herz-OPs.  Denn Routine und Erfahrung sind wichtige Faktoren für das Gelingen.

Und wir sehen andererseits die Notwendigkeit für den Neubau. Das Gebäudekonzept der Klinikleitung hat uns überzeugt – und auch die Art und Weise, wie in die Planung und den Umbauprozess viele verschiedene Teams und Kompetenzen eingebunden werden. Wenn Klinikleitung, Betriebsrat und Pflegedienstleitung gemeinsam der Meinung sind, dass in dem bestehenden Gebäude die Aufgaben nicht mehr adäquat erledigt werden können, dann ist Handeln angesagt. Denn wir können es uns angesichts des demografischen Wandels nicht leisten, wertvolle Mitarbeiter aus Frust über die Arbeitsverhältnisse zu verlieren.

In der HNA vom Samstag war zu lesen, dass die Gefahr wächst, dass einzelne Kliniken unter dem Druck des Personalmangels, der Inflation und der verschleppten Strukturreformen einfach implodieren. Auf die Inflation haben wir keinen Einfluss. Aber ob man Strukturreformen verschleppt oder offensiv angeht, das hat man selbst in der Hand. Und wenn man das tut, dann hat das auch eine Signalwirkung auf die Beschäftigten oder auch Arbeitssuchende, ebenso wie z. B. die moderne und auf Energieeffizienz ausgerichtete Bauweise mit kurzen Wegen und einer durchdachten Logistik. Wir haben keine Angst vor dieser Investition, denn sie ist der einzige Weg, eine langfristig funktionierende Kliniklandschaft hier im Landkreis hinzubekommen, und die ist im Interesse unserer Bevölkerung.

Doch einen Faktor gibt es, der ganz entscheidend ist für das Gelingen des Projekts: Die Kliniken im Landkreis müssen sehr viel stärker zusammenarbeiten und sich in ihrer Schwerpunktsetzung aufeinander einlassen. Ein Konkurrenzdenken in diesem Bereich geht immer zu Lasten der Bevölkerung!

Das Land Hessen hat durch seine klare Förderaussage die Weichen gestellt. Wir appellieren an das Kreiskrankenhaus in Rotenburg, aus seiner starken Position heraus sich jetzt auf eine ernsthafte Kooperation einzulassen. Jetzt ist der Zeitpunkt dafür, jetzt werden die Weichen gestellt, und ein Festhalten am Status Quo wird negative Konsequenzen für alle Beteiligten haben. Eine enge Kooperation ist zwingend notwendig, damit a) die medizinische Versorgung im Landkreis langfristig stabil ist und b) nicht durch Wettbewerb an der falschen Stelle öffentliche Mittel verbrannt werden, weil die Kliniken miteinander um Patienten und Personal konkurrieren.

Wenn das verhindert werden kann, sehen wir unser Klinikum auf einem guten Weg und werden es von Herzen dabei unterstützen, aus dem gegenwärtigen „Tal der Tränen“ herauszukommen.

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