Kreistagssitzung vom 23.03.2020

Am 23.03.2020 hat die Kreistagssitzung stattgefunden. Um den nötigen Abstand einzuhalten, haben sich die Mitglieder des Kreistags in der Waldhessenhalle am Obersberg getroffen. Da die GRÜNE Kreistagsfraktion wegen Corona möglichst kurz tagen wollte, haben sie auf eine Aussprache verzichtet. Hier folgt die Rede, die unser Fraktionsmitglied Christian Eimer zum Nachtragshaushalt und den Hilfen für unser Klinikum gehalten hätte.

Dieser Kreistag muss heute über zusätzliche Mittel in erheblichem Umfang für unser kommunales Klinikum entscheiden. Eine Entscheidung, die alleine aufgrund der immensen Summe, um die es geht, vermutlich niemandem hier einerlei sein wird.

Dennoch gibt es in der aktuellen finanziell prekären Situation, in der sich insbesondere das Klinikum und das HKZ befinden, nicht wirklich eine Alternative. Zumindest, wenn man vorschnelle Entscheidungen über die zukünftige Gesundheitsversorgung im Landkreis oder eben auch eine akute Zahlungsunfähigkeit unseres Klinikums vermeiden will.

Aber wie kommt denn die aktuelle Situation überhaupt zustande? Ist es denn so, wie einige Kritiker behaupten, dass es am totalen Missmanagement der Geschäftsleitung oder des Aufsichtsrates liegt? Ist es so, dass der Kauf des HKZ ein großer Fehler war und uns jetzt wie von den Kritikern von Anfang an gesagt auf die Füße fällt?

Einfache Antworten wären das auf die Frage nach den Gründen für das hohe Defizit. Und einfache Antworten haben dieser Tage ja leider Konjunktur. Eine einfache Antwort gibt es in diesem Fall aber leider nicht.

Es stimmt, die positiven Erwartungen nach dem Kauf des HKZ waren hoch und wurden sicher nur zum Teil erfüllt. Meiner Meinung nach vor allem deshalb, weil sie insbesondere auf der Annahme von Wachstum im Bereich der Patientenzahlen beruhten.

Nun haben wir aber rückläufige Patientenzahlen in fast allen Bereichen, auch im Klinikum. Und dieser Trend zeichnet sich auch in anderen ländlichen Regionen so ab. Offenbar werden wir in unserer regionalen Gesundheitslandschaft gerade mit den Grenzen des Wachstums konfrontiert. Die Gründe hierfür liegen sicher nur in sehr untergeordneter Weise an einer Abwanderung von Patienten in andere Kliniken. Demografische Entwicklungen im ländlichen Raum sowie ein sich immens verschärfender Fachkräftemangel dürften vermutlich die weitaus größere Rolle spielen.

Eines der grundlegenden Probleme ist das Finanzierungssystem der stationären Gesundheitsversorgung in Deutschland: dieses ist nämlich seit Jahren so programmiert, dass eine Klinik im Prinzip nur dann überleben kann, wenn sie jedes Jahr noch mehr Patienten am besten mit immer schwereren Erkrankungen behandelt. Nur diejenigen Krankenhäuser, deren Fallzahlen und Fallschwere immer weiter wachsen, schaffen die schwarze Null.

Studien sagen, dass es in Deutschland eine Überversorgung gibt, Betten bzw. Stationäre Kapazitäten sollen abgebaut werden. Gleichzeitig führen finanzielle Fehl-Anreize bei den Kliniken aber dazu, dass diese immer mehr Patienten an Land ziehen müssen, um nicht zu Grunde zu gehen.

Das, was wir hier sehen ist, dass sich der Bund, und übrigens auch das Land Hessen, aus der Verantwortung stehlen, was eine übergeordnete Versorgungsplanung betrifft. Man überlässt das kostbarste Gut, das jeder Mensch hat, nämlich seine Gesundheit, einfach dem freien Markt.

Sicher, nach einem allgemeinen Kliniksterben, das zwangsläufig Folge dieser Rahmenbedingungen sein muss, würde sich die Krankenhauslandschaft neu aufstellen können. Sie hätte sich auf darwinistische Weise gesundgeschrumpft und die übrig gebliebenen Krankenhäuser wären plötzlich wieder besser ausgelastet, weil anteilig nun mehr Patienten zu ihnen kämen.

Aber kann so ein Weg wirklich in unserem Sinne sein?

Ich bin überzeugt davon, dass gerade wir ländlichen Regionen bzw. insbesondere auch kommunale Kliniken zu den maßgeblichen Verlierern eines solchen Überlebenskampfes zählen werden:

Wir werden bei uns in den nächsten Jahren keinen Bevölkerungsboom erleben und somit allenfalls den Status quo bei den Fallzahlen halten können bzw. Sogar einen Rückgang verkraften müssen.

Wir werden auch stärker als die Metropolen unter dem Fachkräftemangel leiden, der schon heute bei uns immer wieder zu Versorgungsengpässen führt. Und drittens haben wir als kommunaler Träger keinen Milliardenschweren Aktienkonzern im Rücken, der aus strategischen Gründen ein paar Minus-Jahre in Kauf nehmen kann, wenn seine Klinik dadurch am Ende als einzige in einer Region übrig bleibt.

Es bedarf meiner Meinung nach dringend einer Reform des Krankenhausfinanzierungssystems, welches auf den hochproblematischen Fallpauschalen und allerlei anderen Fehlanreize verursachenden Steuerungsinstrumenten beruht. Höhere Vorhaltekosten in ländlichen Regionen, Tarifsteigerungen im ärztlichen Bereich, hohe Kosten für Honorarkräfte bei Fachkräftemangel und unzählige andere Dinge werden im aktuellen Finanzierungssystem überhaupt nicht abgebildet. Das System ist so programmiert, dass etliche Krankenhäuser vor die Wand fahren sollen.

Die Alternative wäre – und an dieser Stelle sehe ich jetzt auch die Landesregierung in der Pflicht – eine wirkliche Bedarfsplanung für die Gesundheitsversorgung in ganz Deutschland bzw. Hessen. Dass also anhand von geografischen, strukturellen und medizinischen Kriterien festgelegt wird, wo welche Art von Kliniken am meisten Sinn machen.

Im Idealfall einer solchen „Planwirtschaft“ wäre eine bestmögliche gesundheitliche Versorgung für alle Menschen in Deutschland in gleicher Weise sichergestellt. Soziale Gerechtigkeit würde ich das nennen.

Stattdessen aber hat sich neben dem Bund auch das Land – welches ja für die Investitionen in Krankenhäuser zuständig ist – vor einigen Jahren aus der Verantwortung gezogen: anstatt in puncto Investitionsförderung auf die Gestaltung der hessischen Krankenhauslandschaft in der zuvor genannten Weise Einfluss zu nehmen, zog man es vor, die bisherige Einzelfallprüfung für investive Maßnahmen aufgegeben und stattdessen jährliche Investitionspauschalen auszuzahlen. Mit diesen können bzw. müssen die Kliniken vor Ort dann selbst entscheiden, was investiert werden soll. Ein Instrument, mit dem das Land früher Einfluss nehmen konnte, aber auch Verantwortung übernehmen musste, wurde aus der Hand gegeben. Auch auf Landesebene soll der freie Markt alles regeln.

Jetzt schließlich haben wir auf der untersten, kommunalen Ebene den schwarzen Peter und müssen sehen, was wir tun.

Mir war wichtig, dieses Stehlen aus der Verantwortung von Seiten des Bundes sowie des Landes an dieser Stelle zu betonen. Denn ich bin überzeugt davon, dass innerhalb solcher Rahmenbedingungen die handelnden Personen hier vor Ort nur wenig Einfluss nehmen können, um die Entwicklung in eine positive Richtung zu wenden.

Sicher, wir werden uns in diesem Jahr noch mehrfach und intensiv mit der Zukunft unserer Gesundheitslandschaft im Landkreis beschäftigen müssen. Ein erster Schritt ist ja bereits gemacht: eine Beratungsfirma hat den Auftrag zur strategischen Begleitung dieses Prozesses bekommen.

Wir müssen von Seiten der Politik aber auch aufpassen, dass die zukünftige Gesundheitsversorgung in unserer ländlichen Region nicht alleine anhand von Deckungsbeiträgen einzelner Fachabteilungen bestimmt sein wird, sondern insbesondere daran bemessen sein wird, was für eine gute medizinische Versorgung der hier lebenden Bevölkerung als elementar wichtig anzusehen ist. In eine solche ganzheitliche Betrachtungsweise muss meiner Meinung nach das vorhandene ambulante Angebot genauso einbezogen werden wie das Kreiskrankenhaus in Rotenburg. Es bringt nichts, wenn sich hier in einer eng begrenzten Region zwei Krankenhäuser gegenseitig Fachkräfte oder Patienten abwerben oder man sich gegenseitig schlecht macht.

Wir brauchen eine gemeinsame Strategie für den Landkreis Hersfeld-Rotenburg, wie eine gute regionale Gesundheitsversorgung zukunftsfähig für die nächsten Jahrzehnte aufgestellt werden kann.

Und oberstes Ziel einer solchen Strategie muss die bestmögliche medizinische Versorgung unserer Bevölkerung im Landkreis Hersfeld-Rotenburg sein. Wie wir dieses Ziel am besten erreichen können, das wird uns in den nächsten Monaten intensiv beschäftigen.

Abschließend möchte ich, bei allen Schwierigkeiten, in denen unsere Kliniken aktuell stecken, noch einmal eine Lanze für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter brechen. Die machen nämlich in der überwiegenden Zahl der Fälle einen hervorragenden Job – und zwar egal, in welcher Klinik im Landkreis sie arbeiten.

Meine Damen und Herren, aus Sicht meiner Fraktion gibt es zur Annahme des vorliegenden Nachtragshaushaltes mit Schwerpunkt der Klinik-Unterstützung keine Alternative. Natürlich muss diese verbunden sein mit der Einleitung von Umstrukturierungsprozessen auf lokaler Ebene. Sie muss aber auch verbunden sein mit einem lauten Hilferuf an die Regierungen in Berlin und Wiesbaden, endlich das marktliberale Gemetzel in einem so sensiblen Bereich wie der Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung zu beenden und Verantwortung sowohl auf planerischer Ebene als auch bei der Finanzierung in strukturell schwächeren Regionen zu übernehmen. 

Meine Fraktion wird sich auf Kreisebene der Verantwortung stellen und daher für die Annahme des Nachtragshaushaltes stimmen.

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